Nordkurier am Wochenende
Solarschiffe aus MV erobern Europa
STRALSUND. Tiefschwarze Wolken hängen über dem Sund. Bedeckter geht es nicht. Doch selbst dieses diffuse Licht dient als Energiequelle für die 52 Solarmodule auf dem Dach des noch namenlosen Ausflugsschiffs. Im Stralsunder Frankenhafen dreht Schiffsführer Jens Zuther den Zündschlüssel
um. Und es geschieht scheinbar nichts. Nur am Heck des 18,5 Meter langen Passagierschiffs beginnt es zu plätschern. Angetrieben von fünf Lithium-Ionen-Akkus der neuesten Generation kommt die Schiffsschraube ins Rotieren, und Zuther steuert sein neues Gefährt lautlos mit gut 13 Stundenkilometern hinein
in den Strelasund in Richtung Rügenbrücke.
Für die Jungfernfahrt des jüngsten Neubaus des Stralsunder Unternehmensverbundes Formstaal/Ostseestaal hat sich Verkehrsminister Christian Pegel (SPD) Zeit genommen. Mecklenburg-Vorpommern setze ein Zeichen in Sachen Elektromobilität, betont er. Das jüngste Solarschiff aus Stralsund sei das erste, das komplett hierzulande gebaut worden sei. Neuer Eigner ist die Weiße Flotte, die schon in den vergangenen drei Jahren sechs Elektroschiffe bezog. „Mit
diesem Schiff manifestiere die Flotte ihre Marktführerschaft im Bereich der maritimen Elektromobilität in Deutschland, sagt Geschäftsführer Knut Schäfer. Mittlerweile würden jetzt jährlich etwa 750 000 Fahrgäste durch die Weiße Flotte e-mobil befördert. Schon kommende Woche soll der Neubau huckepack
auf einem Spezialtransportschiff in den Mittellandkanal gebracht werden. Eingesetzt wird es in der Autostadt Wolfsburg. Für Anfang September ist die Schiffstaufe vorgesehen. Fast 450 Namen haben die Wolfsburger für den Flottenneuling vorgeschlagen, der einen betagten Dieseldampfer ablösen soll.
Kapitän Zuther ist fasziniert von seinem neuen Arbeitsplatz. Gegenüber seinemVorgänger sei der Katamaran noch einmal optimiert worden. Weniger, aber dafür deutlich leistungsfähigere Batterien seien zum Einsatz gekommen. „Damit könnten wir eineinhalb Tage lang manövrieren“, sagt er. Bis 60 Passagiere könne das Schiff aufnehmen, sagt Ingo Schilliger, Manager bei Ampereship. Bei optimalem Sonnenwetter lieferten die Solarzellen bis zu
90 Prozent der erforderlichen Energie. Die Differenz werde nachts über einen Landanschluss aufgeladen.
Inzwischen hat das Mittelstandsunternehmen schon acht Solarschiffe ausgeliefert, die jeweils bis zu 250 Gäste an Bord nehmen können. Um sie wirtschaftlich zu betreiben, wurden sie in Extremleichtbauweise gebaut und mit energiesparsamen Systemen ausgerüstet. „Im Vergleich zu konventionellen Schiffen benötigen wir für die gleiche Leistung nur ein Viertel der Antriebsleistung“, sagt Schillinger. Schon kommende Woche soll mit dem Lift der ehemaligen Volkswerft das weltweit erste elektrisch betriebene Seminarschiff zu Wasser gelassen werden. Bestellt wurde es von einem Berliner Reeder.
Formstaal/Ostseestaal hat sich eigentlich auf Spezialbauten sowie Zulieferungen für Werften, den Flugzeugbau und Windparks spezialisiert. Doch mit dem Bau von Solarkraft-Schiffen hat er sich offenbar zukunftsträchtiges Standbein geschaffen. „Wir sind mit 17 weiteren Interessenten in Gespräch, darunter
auch in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Italien“, verkündet Schillinger. Und auch die Weiße Flotte soll für ihre Fährverbindung von Stralsund und Altefähr über ein neues Solarschiff nachdenken